Lehren aus Thüringen

09.02.2020

Die Lehren aus Thüringen und was das für unsere politische Arbeit bedeutet.

Versuch einer Einordnung der Geschehnisse in Thüringen vom Vorsitzenden der FDP Hanau, Henrik Statz.

Was bisher geschah.

Thüringen wurde in der letzten Legislaturperiode von einer rot-rot-grünen Gerierung unter dem linken Ministerpräsident Bodo Ramelow geführt. Das fand die Mehrheit der Thüringer Bürger offenbar nicht überzeugend. Die Folge: Am 27. Oktober des vergangenen Jahres wurde der Regierung per Wählervotum das Vertrauen entzogen. Die rot-rot-grüne Landesregierung in Thüringen wurde abgewählt, die Parlamentsmehrheit war weg, die SPD sackte nach einem Minus von 4,2 Punkten auf einen historischen Tiefstand von 8,2 Prozent, die ohnehin bereits schwachen Grünen schafften es trotz Bundestrend mit gerade einmal 5,2 (-0,5) Prozent ins Parlament. Gewinner der Wahl waren die AfD (+12,8) unter Führung des Faschisten Björn Höcke und deren Gegenentwurf aus der Bürgerlichen Mitte, die FDP mit den berühmten 5,0% (+2,5).

Trotz dieses klaren Votums gab es von Seiten des Regierungschefs Bodo Ramelow keinerlei Anzeichen, diesen Wählerwillen zu respektieren. Es gab weder Gedanken über Rücktritt oder über die Bildung einer neuen Regierung. Sich seines Sieges sicher, verbreitete er sogar schon die Kabinettsliste seiner neuen Minderheitsregierung, und die las sich weitgehend wie die alte. Ramelow setzte darauf, dass die AfD-Stimmen im Parlament einfach unter den Tisch zu fallen hätten. Doch es waren immerhin 23,4 Prozent der Wähler, die AfD wurde zweitstärkste Partei – wenn also so viele Menschen in einer Demokratie Protest üben, dann hätte ein ausgleichender Landesvater neue Wege zum Regieren suchen müssen. Diese Chance hatte Ramelow verpasst.

Was gab es für Optionen?

Ramelow hätte der SPD und ihrem angesehenen Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee oder dem Fraktionschef der Grünen, Dirk Adams, das Ministerpräsidenten-Amt anbieten können, um den anderen bürgerlichen Parteien ein Angebot zu machen. FDP und CDU hätten sich in diesem Fall kaum ihrer Verantwortung entziehen können. Darauf aufbauend hätte man ein überparteiliches Kabinett aus anerkannten Fachleuten berufen können, die verantwortungsvoll die Geschicke des Landes lenken. Doch Ramelow entschied mit seinen abgewählten Genossen an der Macht bleiben zu wollen. Stoisch und schon fast ignorant begab er sich wie einst Heide Simonis in Schleswig-Holstein ohne Mehrheit in eine Abstimmung, um sich bescheinigen zu lassen, das Sturheit keine Wahl gewinnt.

Diese Vorgänge sind wichtig, um zu verstehen, was dann in der letzten Woche geschah.

Die falsche Entscheidung von Kemmerich

Es war legitim von FDP und CDU einen bürgerlichen Kandidat im dritten Wahlgang ins Rennen zu schicken, um ein letztes Angebot aus der Mitte heraus zu machen. Dies wurde bereits im Vorfeld angekündigt. Dass rein rechnerisch durch Unterstützung der AfD Kemmerich gewählt werden könnte, wurde den Informationen, die wir der Presse entnehmen konnten, intern und mit dem Bundesvorstand besprochen aber als unwahrscheinlich erachtet. Dies war noch unwahrscheinlicher, da die AfD ihren Kandidaten im dritten Wahlgang nicht zurückgezogen hatte. Trotzdem hätte Kemmerich für diesen Fall vorbereitet sein müssen und in diesem Fall die Wahl nicht annehmen dürfen. Auch wenn Kemmerich durch seinen Rücktritt am Donnerstag seinen Fehler wieder gutgemacht hat, wird Kemmerichs erste Entscheidung und die ersten gestotterten Erklärungsversuche aus dem Bundesvorstand der FDP noch lange anhaften. Die Rolle der Thüringer CDU in diesem Gesamtspiel ist immer noch rätselhaft. Wer sprach wann mit wem über was und was war Mohrings Motivation Kemmerer den Vortritt zu überlassen? Hier warten auch wir auf Antworten.

Die Konsequenzen im Bund

Es war richtig von Christian Linder nach diesen Vorgängen die Vertrauensfrage zu stellen. Lindner räumte seine Fehler ein und musste sich rechtfertigen, über welche Schritte Kemmerichs er informiert war. Den Verdacht der billigenden Einkaufnahme von Rechts bei der Wahl des Ministerpräsidenten unterstützt zu werden, halten wir mittlerweile für ausgeräumt. Was bleibt, ist die Fehleinschätzung wie weit die AfD gehen würde, einen eigenen Kandidaten fallenzulassen, um ein Parlament aus den Angeln zu hebeln. Dies darf so nie wieder geschehen. Die Bekenntnisse hierzu waren bei den Liberalen auf allen Ebenen vom Bund bis in die Gliederungen zu hören. Nun ist die CDU dran, ihr Verhalten aufzudecken.

Nähe der FDP zur AfD im Main-Kinzig-Kreis?

Ein gelernter Reflex der etablierten Parteien ist es, solche Desaster als Grundabrechnung für sich zu nutzen – wohlwissend, dass dies nächsten eigenen Skandal der Shitstorm wie ein Bumerang zurückkommen kann. Leider nimmt sich hier die FDP auch oft nicht aus. Was an Schmutzgeschmeiße auf Bundesebene dann oft noch einigermaßen durchdacht wirkt, sieht auf lokaler Ebene leider meist lächerlich aus. So auch die Anschuldigungen von Seiten der SPD und Grünen der letzten Tage in Richtung der FDP Main-Kinzig. Hier eine Nähe oder sogar gemeinsame Sache von AfD und FDP zu wähnen, ist geradezu absurd. Solches Verhalten zeugt von politischer Trittbrettfahrerei, schlechtem Stil und eigener Ideenlosigkeit. Das freie Weltbild der Liberalen passt nicht mit dem der AfD zusammen. Wo wir auf Toleranz setzen, setzt die auf Ausgrenzung,. Die AfD setzt auf Abschottung, wo wir für Weltoffenheit plädieren. Wir sehen uns hier als Ultra-Demokraten und im scharfen Kontrast. Ein solches öffentliches Abarbeiten am politischen Wettbewerber wie in den letzten Tagen treibt die Menschen aus der Mitte in die politischen Ränder. Man kann sich nicht ein Denken und Handeln der Mitte auf die Fahne schreiben und dann selbst die Wildsau spielen. Das nehmen uns die Wähler nicht ab.

Was nun zu tun ist.

Die Dinge sind passiert wie sie passiert sind. Wir können das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Wir müssen aber daraus lernen, dass die politischen Ränder zu jedem Trick bereit sind, die Demokratie der Bundesrepublik anzugreifen, wo es geht. Die Freien Demokraten sind erklärte Gegner dieser politischen Ränder. Deswegen beobachten wir mit großer Sorge, dass diese Ränder in den letzten Jahren gewachsen sind. Dies war aber Entscheidung der Wähler und auch wenn es uns nicht immer leicht fällt, müssen wir mit diesen Entscheidungen im politischen Tagesgeschäft umgehen. Was heißt das konkret? Wir brauchen im Grundsatz die von Lindner geforderten Brandmauern nach links und rechts. Wie aber soll das im parteipolitischen Alltag funktionieren. Können wir oder die anderen Parteien der Mitte es uns erlauben, überall dagegen zu sein, nur weil die politischen Ränder dafür sind? Ist automatisch alles falsch, nur weil es der politische Gegner auch will. Wollen wir es uns leisten, zum Beispiel bei der Abstimmung im Parlament über den notwendigen Bau einer Schule, nur dagegen zu sein, weil die AfD dafür ist? Wollen wir die Verantwortung dafür übernehmen, dass eine marode Brücke nicht saniert wird, weil die AfD dafür ist? Die politischen Ränder sind in den letzten Jahren gewachsen und werden nach und nach in die Parlamente einziehen. Wir brauchen einen Umgang im politischen Alltag, um parlamentarische Arbeit nicht ad absurdum zu führen und im Stillstand zu verharren. Gleichzeitig wissen wir, dass wir uns mehr anstrengen müssen, seit den letzten Tagen noch viel mehr, um mit unserer Politik wieder die Mitte der Gesellschaft hinter uns zu bringen.

Am Ende geht es um die Interessen der Bürger des Landes, in deren Auftrag wir gestalten. Wir dürfen uns in Sachfragen nicht in politische Geiselhaft begeben, nur weil der politische Gegner auch dafür ist. Deswegen machen wir noch lange keine gemeinsame Sache.