Gedanken zu #hanau

09.03.2020

Wir galten als unverdächtig in Hanau, unverdächtig, dass hier eine Zelle von Rassismus, rechter Hetze und Hass sein könnte. In unserer Stadt, in der über 50% der Bürger einen Migrationshintergrund besitzen, war die bunte Gesellschaft bereits Lebensrealität geworden. Natürlich war nicht alles gut aber wir waren auf einem guten Weg. Seit der Nacht vom 19. auf den 20. Februar ist allerdings alles anders. Die Stadt hat ihre Unschuld verloren und Hanau steht in der Welt für ein rassistisch-motiviertes Verbrechen. Neben Fake News zu der Tat an sich und zu gewalttätigen Reaktionen waren auch die Kommentatoren aus Politik und von der Presse sehr schnell zur Stelle. Rechter Terror macht sich wieder breit, die AfD ist schuld, die Parteien der Mitte sind schuld, der Verfassungsschutz, das Waffenrecht, die sozialen Medien, die nicht funktionierenden Frühwarnsysteme sind schuld. In Zeiten der Angst und Bedrohung lieben Menschen einfache Botschaften. Doch so einfach ist es nicht. Deswegen müssen wir die Deutungshoheit über unsere Stadt und das Geschehene zurückerlangen.

Auch wenn die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind, zeichnet sich immer mehr das Bild eines psychisch-kranken Einzeltäters ab, der sich im Stillen selbst zum Werkzeug seines Wahns gemacht hat. Seine Motive waren der Hass auf das Fremde, seine Opfer zufällig gewählt. Dabei war er mittlerweile der Fremde, der mit der Wirklichkeit um ihn herum und seinem Selbst nicht mehr klar kam. Ferhat, Gökhan, Hamza, Said Nessar, Mercedes, Sedat, Kaloyan, Fatih und Vili, die Menschen, die er aus der Mitte der Hanauer Gesellschaft riss, das waren die Etablierten. Teilweise in Hanau geboren, waren sie junge, stolze Bürger unserer Stadt, voller Ideen und Tatendrang für die Zukunft, Menschen die ihren Beitrag leisten wollten. Der Umstand, dass ein Einzeltäter diese Menschen auf dem Gewissen hat, zeigt, dass die Tat überall hätte passieren können. Es ist aber bei uns passiert. Und das sollte auch Fragen vor Ort aufwerfen.

180 Nationen leben friedlich in unserer Stadt und die Reaktion nach den Attentaten zeigt, dass die Menschen, trotz neu entstandener Ängste, zusammen stehen. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, dass überwunden geglaubtes, nationalistisches Gedankengut generell wieder salonfähig geworden. Auch der Täter von Hanau hat sich nicht im luftleeren Raum radikalisiert, sondern war das Produkt eines gesellschaftlichen Klimas, das den Ursprung allen Übels im Nichtdeutschen sieht. Das Rechtsaußen wieder in Parlamenten sitzen und diese auszuhöhlen versuchen, muss politisch bekämpft werden. Die gesellschaftliche Frage an dieser Stelle wiegt allerdings schwerer: Gibt es ein echtes Miteinander oder sind wir unter der Lupe betrachtet in vielen Lebensbereichen eher Nebeneinander? Ist dies der Fall, so sind die Werkzeuge der Politik stumpf, denn ein Miteinander kann man nicht verordnen. Das muss von den Menschen ausgehen. Man kann aber Orte der Begegnung schaffen, Anlässe, bei denen man miteinander ins Gespräch kommt. In den Schulen. In den Sportvereinen. Am Arbeitsplatz. Im Café. Denn Zusammenhalt beginnt immer mit Kommunikation. Das ist es, woran wir arbeiten müssen. Und dazu möchten wir alle nach Beedigung der Coronakrise einladen, die unsere Verschiedenartigkeit als ein Geschenk sehen und unsere Stadt genau so lieben wie wir.