Europa ist unsere Zukunft

20.01.2019

Am 19. Januar fand der Neujahrsempfang der FDP Main-Kinzig, FDP Hanau, FDP Gelnhausen, FDP Großkrotzenburg sowie der JuLis im Arkadenbau Wilhelmsbad statt. Zu Gast war der Spitzenkandidat der FDP Hessen für die Europaparlamentswahl 2019, Dr. Thorsten Lieb.

Neujahrsrede des Vorsitzenden des FDP Stadtverbands Hanau, Henrik Statz

Wir befinden uns – wie Sie auch an unserem heutigen Hauptredner, Dr. Thorsten Lieb, dem Spitzenkandidat der Hessischen FDP sehen können, den ich an dieser Stelle auch noch einmal ganz herzlich in Hanau willkommen heißen möchte, in diesem Jahr, in einem Europawahljahr. Vermutlich war seit Bestehen der Europäischen Union die Idee der EU noch nie so auf dem Prüfstand wie heute.

„Unsere Zukunft ist Europa – eine andere haben wir nicht“ sagte Hans-Dietrich Genscher in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Jahr 2015. Zu dieser Zeit schien die Welt noch enger zusammenwachsen – heute beobachten wir einen Trend des Separatismus, der Abkanzlung der Mitgliedsländer. Aber Genscher erkannte damals bereits, dass es „für die Mitglieder der EU nicht nur darum gehen darf, was man denn von Europa bekommen könne, sondern dass es für diejenigen, die aus tiefer Überzeugung das Einigungswerk bejahen, notwendig ist, kämpferisch für dieses Einigungswerk einzutreten und nicht zu erklären, was jetzt gerade kompliziert ist.“

Heute ist vieles kompliziert und die Menschen sehnen sich nach entschlossenen Lösungen, nach Haltung und Führung. In der EU und in der ganzen Welt. „Wir haben es mit einer akuten politischen Führungs- und Orientierungskrise zu tun“, stellte der Chefredakteur der Schweizer Zeitschrift Novo, Johannes Richardt, zum Jahresende in der Neuen Zürcher Zeitung fest und lieferte somit vermutlich eine der treffendsten Analysen zur derzeitigen Wahrnehmungskrise in der Politik.

Grund für diese Krise ist seiner Meinung nach, „dass die Eliten in der westlichen Welt auf ein zunehmend kleinteiligeres Mikromanagement von Gesellschaft, Öffentlichkeit und Wirtschaft setzen. Politische Ideen definieren sich zunehmend über Verbote, Regulierungen, Richtlinien, Steuern und bewusstseinsbildende Maßnahmen. Der Staat mischt sich in die private Lebensführung der Bürger, die öffentliche Debatte und in unternehmerisches Handeln ein.“

Zudem herrsche „eine Kultur der Angst und des Misstrauens, in der gerade ein Zuviel an Freiheit als problematisch gilt. Die menschliche Leidenschaft gilt einer Politik, die Bürger nicht mehr als Gestalter, sondern vor allem als Störer, Verschmutzer oder Gefährder sieht, als gefährlich. Aus dieser trüben Sicht auf den Bürger leitet sich der politische Anspruch ab, in die persönliche Lebensführung der Menschen hineinzuregieren. Ironischerweise untergräbt so ausgerechnet jenes politische Führungspersonal, das sich zurzeit als letzte Wacht gegen den Populistensturm zu inszenieren versucht, die moralischen und kulturellen Voraussetzungen für das Funktionieren einer offenen Gesellschaft. Denn wer als Politiker den Leuten ständig signalisiert, dass er sie für zu blöd, schwach und vorurteilsbeladen hält, um mit den Herausforderungen selbst der banalsten Fragen der persönlichen Lebensführung klarzukommen, darf sich nicht wundern, wenn die Menschen ihm irgendwann die kalte Schulter zeigen. Die gegenwärtige Veränderung der politischen Landschaft ist auch eine kulturelle Revolte gegen diese abgehobene Haltung, die Bürger – gerade die sogenannten «kleinen Leute» – nicht ernst zu nehmen, sondern zur therapiebedürftigen Verfügungsmasse für «wohlmeinende» Sozialtechniken aller Art zu degradieren“, schließt Richardt ab.

Wenn wir uns in der Wahrnehmung der Menschen in Europa mehr mit der Beschaffenheit von Gurken und fragwürdigen Verboten beschäftigen als mit den großen Herausforderungen der Gegenwart, mit den Themen, die die Lebenswirklichkeit der Menschen tatsächlich betreffen, verliert das politische System nach heutigem Zuschnitt seine Legitimation. Und genauso wie die Politik bei der Priorisierung ihrer Themen aufpassen muss, muss sie auch wieder eine Art der Kommunikation finden, die die Menschen erreicht.

Der Hessen Wahlkampf im letzten Jahr hat uns in der FDP die Grenzen der Reichweite von Inhalten aufgezeigt. Stimmen hinzugewonnen haben auch wir aber vor allem die Projektionsflächen der verschiedenen Lebensstile, Feel Good und Feel Bad. Dies war das Resultat „einer langen Zeit der Sprachlosigkeit, gefolgt von einer Zeit des politischen Brüllens und Stigmatisierens“ wie der Grüne Robert Habeck in seinem Buch „Wer wir sein könnten“ treffend analysiert hat. „Die Konsequenz ist, dass sich Milieus und Gruppen immer fester zusammenschließen und immun machen für Argumente und Interessen, die nicht ihre sind“, stellt er weiter fest. „Man kann natürlich polarisieren und gegen Kompromisse polemisieren, jedoch schien Kompromissunfähigkeit noch nie ein Beleg dafür zu sein, dass man sich mit der Wirklichkeit auseinandersetzt.“

Politik ist ein Ideenwettbewerb und Demokratie bedeutet, es ertragen zu müssen, wenn andere Ideen bei den Wählern Mehrheiten finden. Dies schmerzt dann am meisten, wenn man bei langfristig strategischen Fragen wie zum Beispiel endlich die rote Laterne bei der Digitalisierung in Europa loszuwerden und wenigstens Albanien hinter sich zu lassen, Zeuge von Untätigkeit werden muss. Wenn bezahlbares Wohnen aufgrund langwieriger Genehmigungsverfahren sowie hoher baulicher und energetischer Auflagen nahezu unmöglich wird. Wenn die Steuer- und Abgabenlast in der Mitte so hoch ist, dass in immer mehr Familien beide Elternteile in Vollzeit arbeiten müssen, es aber nicht genug und schon gar nicht qualitative Betreuungsplätze für ihre Kinder gibt. Wenn wir identifizierte islamistische Gefährder nicht ausweisen können aber für unsere Wirtschaft wichtige Fachkräfte nicht einreisen lassen dürfen, weil es kein Einwanderungsgesetz gibt. Wenn Gründungen und Innovationen im Land des Exportweltmeisters an Bürokratismus und zu wenig Zugängen zu Wagniskapital scheitern und somit andere Nationen sich als Wirtschaftsmächte von Morgen positionieren. Wenn es kleine Abmahnvereine schaffen Fahrverbote für Diesel durchzusetzen und somit Millionen von Menschen quasi enteignen, ohne dass es überhaupt einheitliche Messverfahren für die Ermittlung der Grenzwerte gibt, das kausale Zusammenhänge fehlen und die Politik Werbung für die Branche macht, welche die Trends der Zukunftsmobilität schlicht und einfach verschlafen hat.

Aber über all diese Themen können und müssen wir im angemessenen Ton streiten. Wir müssen Debatten auf allen Ebenen führen, die die Menschen in unserem Land nachvollziehen können – in der Kommunalpolitik genauso wie im  Europaparlament. Debatten, die ihre Erwartungen, Sorgen, Wünsche und Bedürfnisse ernst nehmen. Ein „weiter so“ ist dabei in den seltensten Fällen die beste Lösung. Die Menschen verlangen nach Veränderung – aber sie haben gleichzeitig Angst davor, denn das, was es noch nicht gibt, ist das Unbekannte. Deswegen darf man Veränderungen, Überzeugungen und Innovationen in einer Zivilgesellschaft nicht mit dem Holzhammer schaffen, sondern mit Herz und Verstand. Wer sieht, das eine Regel falsch ist, muss sie mit einer neuen, besseren brechen und dies erklären. Erkennen, verstehen, verändern. Das ist das Wesen unserer Demokratie und das ist unser Ansatz für ein Europa, das heute und in Zukunft Bestand hat. Eine andere Zukunft haben wir nicht.