Corona und seine Folgen

31.03.2020

Es gibt historische Momente, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert, es sind Tiefenkrisen, die neue Normalitäten schaffen. Eine solche Krise erleben wir gerade mit der globalen Ausbreitung des Coronavirus. Die Welt nach Corona wird eine andere sein, als die davor, vielmehr ist davon auszugehen, dass es nur noch eine Welt mit Corona geben wird.

Um der Aufgeregtheit der immer wieder neuen Situationseinschätzungen von Politik, Virologen und sonstigen Deutern Herr zu werden, war die Rückwärts-Prognose des Zukunftsforschers Matthias Horx „Die Welt nach Corona“ vom 19. März ein geradezu erhellender Lichtblick. Die Idee dabei ist, nicht voller Angst und Sorge von der Gegenwart in die Zukunft zu blicken, sondern von der Zukunft in die Gegenwart und diese dadurch entstehende Gelassenheit, da man alles überstanden hat, für einen nüchternen Blick zu nutzen.

Der Text von Horx sprüht in vielen Punkten von in aktuell sehr notwendigem Optimismus: diese Krise werden wir natürlich überleben, die verordnete körperliche Distanz wird zu neuer Nähe führen, der vor der Corona-Krise aufgekommene Hass in der Gesellschaft wird abgeschwächt und Zeit wieder als wertvolles Gut betrachtet. Dass junge Menschen Spaziergänge und das Lesen von Büchern für sich entdecken würden und dass der medizinische Fortschritt uns helfen wird, die Krise schon im Sommer zu beenden. Die Menschen würden lernen mit Corona so zu leben wie mit der Grippe und gleichzeitig wären sie trotz radikaler Einschränkungen solidarisch und empathisch geblieben. Wir hätten gelernt, was die Grenzen der Technik sind und wofür es das menschliche Miteinander braucht. Wir würden uns wundern uns wie weit die Ökonomie mit einem schwarzen April und einem Börseneinbruch von 50% schrumpfen konnte, ohne dass ein Zusammenbruch geschah. Wir würden zurückfinden zu einer Lokalisierung des Globalen, Netzwerke kämen wieder zu den Menschen und das Handwerk erlebte eine Renaissance. Die Evolution wird durch die Krise beschleunigt, wir drücken den Reset-Knopf für ein neues Miteinander und formen die Welt um, wie wir sie haben wollen. Die Natur sorgt dafür, dass wir wieder im positiven Sinn auf das Menschsein zurückgeworfen werden. All das macht Mut, aber vermutlich wird diese neu gewonnene Sozialromantik enden, wenn die Menschen kein Geld mehr aus den Bankautomaten erhalten werden, denn auch eine Rezession kostet Menschenleben.

Die Teilschließung der Bundesrepublik  über den Zeitraum von drei Monaten wird nach Berechnungen des IFO-Instituts mehr als 700 Milliarden Euro kosten, also das 4,5-fache von dem, was jetzt per Nachtragshaushalt beschlossen wurde. Dies wirft automatisch die Frage der Verhältnismäßigkeit auf und das muss sie auch, wenn man das Wesen der Demokratie ernst nimmt. Vermutlich aus einer ähnlichen Überlegung und Rechnung heraus, haben sich die Niederlande und Schweden für einen anderen Weg entschieden. Hier setzt man mehr auf die Vernunft der Gemeinschaft, Bewusstsein für Abstände im Alltag und die sogenannte Herdenimmunität, also eine Immunisierung der Gesellschaft durch gesteuerte Infizierung in den Nicht-Risikogruppen bei gleichzeitigem Schutz der besonders bedrohten Bürger. Die föderalistische Bundesrepublik Deutschland hat mit dem Blick auf das schwer angeschlagene Südeuropa, mit dem besseren Proporz von Intensivbetten zur Anzahl der Bevölkerung und dem Wettrüsten der Ministerpräsidenten in Sachen Verordnungen und Schließungen sich für den weitgehenden Lockdown der Bundesrepublik entschieden, die Einschätzungen der Virologen bestimmen über das Land, weshalb auch bereits von einer Diktatur der Medizin die Rede ist. Diese eindimensionale Betrachtung zur Entscheidungsfindung ohne adäquate staatsrechtliche oder volkswirtschaftliche Überlegungen droht uns auf lange Sicht auf die Füße zu fallen. Die Schäden für Unternehmen, die Kommunen und die gesamte Volkswirtschaft werden so immens sein, dass guter Rat nun nicht nur sprichwörtlich teuer wird. Es wird ein Tsunami der Verschuldung, der implodierenden Märkte und der Massenarbeitslosigkeit auf uns zu rollen, den wir seit dem Ende des 2. Weltkriegs nicht mehr erlebt haben. Deswegen muss die Konsequenz sein, so schnell und kontrolliert wie möglich aus dem Stillstand, aus dem künstlichen Koma der Wirtschaft, wieder in Bewegung zu kommen.

Durch die Unbekanntheit des Virus war die Notbremse des Alltags angemessen, denn Humanität und Solidarität sind die Grundlagen der Demokratie – wir müssen aber im Auge behalten, dass Wohlstand auch sozialen Frieden bedeutet. Leider haben die Zusagen des Bundes und die Abwicklung über die Länder zu einem ungesunden Wettbewerb innerhalb des föderalen Systems geführt, der nicht im Interesse der Menschen sein kann. Förderkriterien sowie die Praxis und Schnelligkeit der Auszahlung von Fördermitteln klaffen stark auseinander. Die angekündigte unbürokratische Hilfe geriert sich in Hessen aktuell zur Farce. Darüber muss diskutiert werden, genauso wie generell offener debattiert werden muss, denn wenn etwas zum ersten mal geschieht, hat man keinen Zugriff auf Patentrezepte. Auch wenn dies die Hoffnung vieler ist, auch derer in politischer Verantwortung.

Die Hörigkeit der Politik gegenüber den Virologen erinnert an die Tage um den 11. September 2001, als die Terrorexperten die Deutungshoheit für das Weltgeschehen für sich beanspruchten und rieten was zu tun ist. Natürlich ist dieses Fachwissen gerade bei einer Pandemie essentiell, es darf aber nicht die alleinige Betrachtung sein. Welche Folgen die Selbstabschließung für das soziale und ökonomische Gefüge hat, liegt außerhalb des Wissens der Mediziner. Genauso wie das Finden eines Modus operandi, um die derzeit stark eingeschränkten Freiheitsrechte nach der Krise in vollem Maß zurückzuerlangen. Die Unternehmen müssen sich vor den Banken nackt machen, die Bürger tauschen mit der zu Verfügungstellung ihrer Daten sowie dem Einstellen ihres sozialen und ökonomischen Menschseins, Freiheit gegen vermeintliche Sicherheit. All dies setzt die Grundprinzipien unseres Gesellschaftsmodells, unseren Way of Life, auf den Prüfstand. Und am Ende wird die Frage bleiben, wie viel Solidarität wir von den Menschen abverlangen können, wenn wir wie der SPIEGEL geschrieben hat, die gesundheitlich Schwächsten schützen, indem wir die wirtschaftlich Schwächsten dafür bezahlen lassen. Auch auf diese Frage gibt es noch keine Antwort.

Hoffen wir auf das Beste.