Bemühungen um neue Kitaplätze müssen trotz Teilerfolg fortgesetzt werden
„Unsere Kinder sind unsere Zukunft und gerade deshalb ist es notwendig, ihnen von Anfang an die bestmögliche Unterstützung und Förderung zukommen zu lassen. Wir wollen, dass unsere Kinder mit den frühkindlichen Bildungsangeboten für die Familien sowie in den Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Menschen heranwachsen und damit ihres eigenen Glückes Schmied sein können,“ begann der FDP Fraktionsvorsitzende Henrik Statz seinen Redebeitrag zur neuen Kita Satzung der Stadt Hanau. Mit diesen Zielsetzungen im Blick, sollten Kindertagesstätten ein Garant für beste frühkindliche Bildung und beziehungsvolle Betreuung werden. Jedes Kind solle frühestmöglich entsprechend seinen Bedürfnissen, Begabungen und Fähigkeiten begleitet, gefördert und unterstützt werden. Statz schätzt, dass man sich hier in der Stadtverordetenversammlung einig sei. Doch die Wahrheit sehe flächendeckend leider anders aus. Deutschlandweit fehlten 100.000 Erzieher in Kitas, sieben von zehn Einrichtungen verkürzten ihre Öffnungszeiten.
Auch in Hanau gebe es derzeit für 1.000 Kinder keinen Betreuungsplatz und das sei in jeder Hinsicht eine Katastrophe, denn unsere Kinder lernen nie wieder so einfach, mühelos und gerne wie vor dem 6. Lebensjahr. Rückstände ließen sich danach auch kaum noch aufholen. Es gehe um soziale Interaktion, es gehe um Spracherwerb, es gehe um Miteinander, Kinder ohne das Zusammenspiel mit anderen Kindern kämen schwerer in den Schulalltag rein. Frühkindliche Bildung lege den gesamten Grundstein für einen erfolgreichen späteren Bildungs-, Berufs- und Lebensweg.
Aus dieser Erkenntnis heraus, tue man in Hanau vieles, um sowohl die Qualität als auch die Quantität der Betreuung auszubauen. „Wir bauen eine Kita nach der anderen, waren mit unserem Ausbildungsmodell des SPAZ auch ein Stück weit unserer Zeit voraus, haben sogar den Testballon mit angeworbenen Fachkräften aus Südamerika gestartet, doch das alles genügt nicht, um den großen Bedarf zu decken,“ erklärt Statz. Die Situation sei wie das zu kurze Tischtuch, man ziehe es permanent hin und her, aber egal wie man ziehe, es bleibe zu kurz.
Mit dieser Kürze des Tischtuchs dürfe man sich nicht abfinden, man brauche aber für die Phase, wo man einfach kein größeres über den Tisch legen könne, einen nachhaltig sinnvollen und pragmatischen Umgang. Und so sei es nach intensiver Auswertung und Analyse auch in Hanau zu dem Modell der verkürzten Betreuungszeiten gekommen. „Das ist zum einen Teil Mangelverwaltung, zum anderen aber die Optimierung des Dilemmas,“ bedauert Statz.
Das Jobportal Stepstone befragte vor kurzem 2000 Eltern mit Kindern unter zehn Jahren zu ihrer beruflichen Situation. Rund 66 Prozent der Eltern, die in Teilzeit arbeiten, sagten, sie würden lieber vollzeitnah oder Vollzeit arbeiten – wenn Rahmenbedingungen wie zum Beispiel die Kindertagesbetreuung gesichert wären. Der hohe Anteil ließe laut den Analysten von Stepstone erahnen, wie viel fehlende Kitaplätze die deutsche Wirtschaft kosten: Würde man die 66 Prozent auf alle Eltern mit Kindern unter zehn Jahren übertragen, die in Deutschland weniger als 30 Stunden arbeiten, entgingen der deutschen Wirtschaft bis zu 1,2 Milliarden Arbeitsstunden pro Jahr. Multipliziert mit den entsprechenden Medianeinkommen in Deutschland würden sich dadurch laut Stepstone jährlich bis zu 22,7 Milliarden Euro ergeben, die nicht verdient werden. Dieses nicht ausgeschöpfte wirtschaftliche Potenzial entspricht 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2023.
Die Berechnung von Stepstone sei zwar sehr stark vereinfacht und daher nur ein Schätzwert. Sie zeige aber, dass fehlende Betreuungsplätze schon lange nicht mehr nur ein privates Problem seien, sondern auch die Wirtschaft belasteten. In einem Artikel der Welt rechnete kürzlich ein Vater vor, dass ihm durch die Reduzierung der Betreuungszeiten von 45 auf 35 Stunden abzüglich Fahrzeiten lediglich sechs Stunden pro Tag für die Arbeit übrigblieben. Das sei ein Witz. Doch Lachen wolle darüber niemand.
In Zeiten, in denen der Fachkräftemangel als Wachstumsbremse für die deutsche Wirtschaft gelte, werde jede verfügbare Arbeitskraft dringend benötigt. Viele Unternehmen könnten wegen Personalengpässen ihr Potenzial nicht ausschöpfen.
Wenn Eltern also länger als nötig dem Arbeitsmarkt fernblieben, könne das schon sehr kurzfristig zu Wertschöpfungsverlusten führen – und langfristig dazu, dass Innovationskraft und Produktivität des Landes sinken.
Die Stepstone-Umfrage zeigte dass vor allem Frauen mehr arbeiten würden, wenn die Kindertagesbetreuung gesichert wäre. Der Mangel an Kitaplätzen wirke sich also enorm auf den Arbeitsmarkt aus. Die Anwerbung von ausländischen Fachkräften falle ebenfalls schwer, wenn Kinder nicht betreut werden könnten. Und glaube man den Berechnungen der Bertelsmann Stiftung, habe die Misere gerade erst begonnen. Demnach werde sich die Personalnot in den Kitas weiter verschärfen und erst Anfang der 30er Jahre auflösen. Zuerst im Osten, einige Jahre später auch im Westen.
Diese Umstände sprächen vermutlich eher für die Beibehaltung der längeren Betreuungszeiten. Da man aus den aufwändigen Untersuchungen des Fachbereichs – und da gelte es Astrid Weiermann und ihrem Team noch einmal ausgiebig Danke zu sagen – wisse man, dass die letzte Stunde häufig eher als Puffer und für Notfälle genutzt werde. Deshalb müsse man In der Gesamtabwägung feststellen, dass man mit einer Verkürzung von Betreuungszeiten einfach mehr Familien eine Betreuung ermögliche.
„120 Plätze zu schaffen, die es vorher nicht gab, ist eine beachtliche Leistung,“ erklärt Statz. Trotzdem sei das kein Grund zum Hurra schreien, denn das beschriebene Tischtuch bliebe zu kurz. Man habe jetzt nur priorisiert. Und da lohne es sich noch einmal genauer zu schauen, was denn der Grundgedanke der Kindertagesbetreuung sei. „Kinderbetreuung ist die Sicherstellung frühkindlicher Bildung und der Daseinsvorsorge, erst zweitrangig das Ermöglichen von Erwerbstätigkeit in Vollzeit. Das mag aus dem Mund eines Liberalen vielleicht komisch klingen, dass die vermeintlichen Vollzeit-Performer hier das Nachsehen haben sollen aber nur durch ein breiteres qualitatives Angebot schaffen wir es mit frühkindlicher Bildung langfristig den Knoten einer leider immer noch stattfindenden Vererbung von Armut und Bildungsferne zu zerschlagen,“ so Statz. Damit erzeuge man zwar weder aus dem Stand Chancengleichheit, noch ein neues Aufstiegsversprechen, man bewege sich aber in die richtige Richtung. Deswegen stimme die FDP für die Satzung.
Gleichzeitig dürfe man bei den Bemühungen nicht nachlassen, mehr qualifiziertes Personal in die Kitas zu bekommen, denn man wolle jedem Kind eine bestmögliche Förderung anbieten und damit sein Talent zum Leuchten bringen. „Wir können an dieser Stelle gar nicht genugtun und investieren, weil nur, wenn wir ganz vorne anfangen, sichern wir unseren Wohlstand, unseren sozialen Zusammenhalt und unser Miteinander der Zukunft ab,“ erklärt Statz.
Annette Stein von der Bertelsmann Stiftung identifizierte kürzlich in einer Studie drei Maßnahmen, um die aktuelle Situation zu entschärfen:
Erstens sollten die pädagogischen Fachkräfte durch mehr Hauswirtschafts- und Verwaltungskräfte entlastet werden. Zweitens sollten die Kitas auf – pädagogisch begleitete – Quereinsteiger setzen. Besonders entlastend könnte laut Stein wirken, wenn die Betreuungs- und Öffnungszeiten vorübergehend reduziert werden. Das tue man in Hanau jetzt. Um allen Kindern einen Zugang zur Kita zu ermöglichen, müsste laut Annette Stein, drittens die Stundenzahl in den meisten Regionen auf sechs oder sieben Stunden täglich zusammengeschmolzen werden, heißt es im Bericht. In Hanau reduziere man von 10 auf 9 Stunden, dies sei noch vergleichsweise komfortabel. Das spende den Eltern, die immer noch keinen Betreuungsplatz haben, wenig Trost. „Deswegen können wir mit dem Erreichten nicht zufrieden sein, es ist aber ein Schritt, der zumindest 120 Familien weiterbringt,“ fasst Statz die Zwischenbilanz der Satzung zusammen.
Zuletzt flechtete Statz einen kleinen Werbeblock an die Schulabsolventen und -absolventinnen, an diejenigen, die Kinder als wichtigstes Element unserer Zukunft sehen und über eine berufliche Veränderung nachdenken, ein. Aber auch an Unternehmer, die neue Geschäftsmodelle suchten. „Nehmt das Thema Kindertagesbetreuung in eure Überlegungen auf. Es lohnt sich. Mit Blick in die Zukunft allemal,“ endete Statz seinen Beitrag.
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