Freiheit in Gefahr

Am vergangenen Freitag wurde bei Paris auf offener Straße ein Lehrer enthauptet, weil er Freiheit lehrte. „Die Freiheit der Meinung. Die Freiheit der Kunst. Die Freiheit, sich auch über Religion lustig zu machen,“ wie in der FAZ kommentiert wurde. Staatspräsident Macron ordnete die Tat schnell als einen terroristischen Anschlag ein. Ein Anschlag gegen die offene Gesellschaft, gegen die Werte Europas, gegen unsere Idee des Miteinanders. Der Schock saß im ersten Moment ähnlich tief wie im Kontext der Anschläge des 19. Februar. Quasi aus heiterem Himmel entzündete sich der Zorn eines Täters und richtete sich gegen Menschenleben, in einer Grausamkeit wie wir es in unserer Mitte nicht für möglich gehalten hätten. Man kann dagegen argumentieren, dass es sich in Hanau, nach derzeitigem Erkenntnisstand, um die Tat eines Einzelnen gehandelt hat und in Frankreich eine Art radikales Netzwerk zur Vendetta aufgerufen hat. Verändert man etwas die Perspektive, muss man feststellen, dass sich die Taten auf anderer Ebene ähneln, denn sie sind beide das Ergebnis unterschätzter Stimmungen, die sich gegen die Freiheit und für eine autoritäre Weltordnung formierten. Es sind Stimmungen aus Parallelgesellschaften, die wie ein Elefant im Raum stehen aber von denen jeder denkt, wenn man sich nur fest genug die Augen zuhält, seien sie nicht mehr da. Sie sind der Zwischenstand eines sich beschleunigenden Eskalationsprozesses, in dem Freiheit zu selbstverständlich wurde und nicht mehr verteidigt werden muss. Demgegenüber stehen die, die nicht mit Freiheit leben können oder nicht in Freiheit leben wollen. Freiheit überfordert sie, sie ertragen keine Individualität. Mit dieser Position haben sie es in einer offenen Gesellschaften schwer. Individualität bedeutet die Freiheit zur Wahl. Sie bedeutet selbstbestimmt zu entscheiden, wie und wo man lebt, welchen Beruf man ergreift und ob man einen Gott anbeten will oder eben nicht.

Die Feinde der Freiheit lauern hinter vielen Ecken. Sie hassen sich gegenseitig, sind aber im Wahn verbunden. Sie sind getrieben von Ideen, dass Kollektive mehr wert seien als das Individuum, der Mann mehr wert als die Frau, die eine Religion mehr wert als die andere oder das Blut über Biografien zu entscheiden habe. Dabei halten uns die Vordenker dieser Stimmungen im Dunklen, welche vermeintlich bessere Idee von Gesellschaft und Zivilisation sie uns vorzuschlagen haben, wie ein Miteinander funktionieren soll, welches Menschenbild sie haben und welche Bücher in ihren Bibliotheken stehen sollen.

Wir haben die Wahl, ob wir die Ideen einer solchen Gesellschaft zulassen wollen. Und so wie Demokratie Demokraten braucht, braucht die Freiheit jene, die für sie eintreten. „Freiheitliche Gesellschaften müssen sich gegenüber den Gegnern freiheitlicher Ordnung zur Verteidigung ihrer eigenen Werte entschließen“, erklärte kürzlich der Liberale Wolfgang Gerhardt. „Die Vielfalt der Kulturen fängt damit an, die eigene zu erkennen, in ihren Fehlern und Schwächen, aber auch in ihrer Kraft. Wer sich selbst nicht mag, der kann auch niemanden integrieren“, so Gerhardt weiter. Im Grunde sagt dies, dass Integration gleichermaßen eine Hol- und eine Bringschuld ist. Findet sie nicht statt, ist dies ein Politik- und auch ein Bürgerversagen. Nach Anschlägen die Exekutive zu mobilisieren, ist hier zu wenig. Vielmehr müssen wir dauerhaft an einem Miteinander arbeiten, dass düstere Parallelgesellschaften austrocknet, das von Empathie und Respekt getrieben ist und das sich auf ein klares Regelwerk für ein neues Wir verständigt. In Hanau waren wir auf einem guten Weg. Und die auf Gegengewalt verzichtende Reaktion auf die Attentate gibt Anlass zur Hoffnung, dass wir weiter waren als wir glaubten. Nun muss es weitergehen. Im Gespräch und einer neuen Einigkeit.