Wenn man alles auf einmal will, ist der Preis Verdichtung
Rede zum Entwurfs- und Offenlagebeschluss Bautz-Quartier
Sehr geehrte Frau Stadtverordnetenvorsteherin, werte Kolleginnen und Kollegen,
Städteplanung in Ballungsräumen spiegelt die großen Fragestellungen der Gegenwart wider: Der Kampf gegen den Klimawandel entscheidet sich in den Städten genauso wie die Frage nach sozialer Gerechtigkeit oder nach der Zukunft von Arbeit, Wohnen, Mobilität oder des Handels. In diesen Spannungsfeldern entstehen viele Risiken aber gleichzeitig auch ein enormes Entwicklungspotenzial. Der Blick auf die Wirkung gestalteter Umwelten und auf die menschliche Lebensqualität wird dabei nicht nur für die Konzeption zukünftiger städtischer, sondern auch ruraler Lebensräume, zentral.
Die Corona-Pandemie war neben der bekannten globalen Herausforderung für die gesamte Menschheit, zynisch betrachtet, ein Laborexperiment der Stadtforschung. Ist der Urban Peak schon erreicht? Wird die kollektive Erfahrung der Corona-Krise eine langfristige Stadtflucht auslösen und somit das Ende des Megatrends der Urbanisierung einläuten?
Tatsächlich gewann das Land als Lebensraum in Zeiten der Lockdowns an Attraktivität. Nicht ohne Grund werden Städte häufig als Erstes zu Krisengebieten erklärt: Die hohe physische und soziale Dichte macht Städte vulnerabel und krisenanfällig. Im Großen und Ganzen ist der Run auf die Städte in den Ballungsräumen allerdings ungebrochen. Diese hohe Nachfrage macht moderne Stadtplanung zur Königsdisziplin der Architektur – zumindest in der Theorie. In der Praxis wird sie immer mehr zum Zehnkampf, unter anderem mit den Disziplinen Psychologie und Kommunikation, denn die Stadt ist zuallererst ein Ort des Miteinanders und der Selbstorganisation – angetrieben vom Zufall, komplexer sozialer Kybernetik und auch Selbstwahrnehmung. Und dann kommt die Stadtplanung, die versucht, die ganzen eigendynamisch fliehenden Kräfte einzufangen, in die Form zu bringen und Nutzungen wie Perlen auf eine Schnur zu fädeln. Das macht Stadtplanung wie wir sie hier auf dem Bautz Gelände betreiben auf den ersten Blick zu etwas Anmaßendem. Und tatsächlich war die alte Denke vor allem sachlich, fachlich, infrastrukturell-technokratisch und gar nicht vom menschlichen Maßstab aus gedacht: Wasserversorgung, Kanalisation, Verkehrsanbindung, Strom. In der Ritter Sport Logik war die Denke oft Quadratisch, Praktisch, leider nicht immer Gut. Die Ausblühungen kann man noch heute in Modellstädten wie Brasilia oder in den Plattenbauten der ehemaligen DDR begutachten, die schlicht als menschenfeindlich gelten.
Aber noch lange folgte man den Erkenntnissen der 1960er Jahre, dass Wohnen, Arbeiten, Einkaufen, Essengehen und Bummeln räumlich getrennt werden müssen. Heute sind wir an vielen Stellen schlauer mit den Einschätzungen, was Stadt wirklich braucht. Bevor wir aber an die Menschen, als soziale und kulturelle Wesen denken, denken wir immer noch traditionell bürokratisch. Das macht Planen und Bauen weder schnell, noch agil, noch visionär oder auch günstig. Es könnte schneller gehen, wenn wir die Menschen, statt als Analyseobjekt, mehr in das Zentrum der Handlung hineindenken würden.
Auch in der heute zu beschließenden Vorlage finden wir zuallererst alle Formen von Gutachten – zu Umweltverträglichkeit, Artenschutz, Klima, Belichtung, Verkehrsuntersuchung, Schall, Immissionen, Geruch, Seveso-Richtlinien, Altlasten, Entwässerung, Versickerung, Grundwasser-Barrieren, Erschütterungen, Bäumen, Kampfmittel, Denkmalschutz-Erfassung, Einzelhandel, Mobilität, Freianlagen und Lichtimmissionen. Man könnte meinen, dass die Lesezeit aller Unterlagen länger sein dürfte als die Bauzeit selbst. Und man muss den Hut ziehen vor den Investitionswilligen, die nach all diesen Abwägungen trotzdem guten Mutes ist, so ein Mammutprojekt zu realisieren, um Menschen in Zukunft ein Zuhause zu geben und dazu noch alles weitere, von dem wir heute glauben, dass sie es zudem benötigen, um ihren Alltag möglichst fußläufig zu bewältigen.
Wir werden nicht müde zu betonen wie wichtig bauen, bauen, bauen ist, um die hohe Nachfrage nach dem begehrten bezahlbaren Wohnen im städtischen Raum zu befriedigen. Gleichzeitig zeigen wir uns als Meister darin, vieles zu unternehmen, um genau dies zu verhindern. Schon in der Einleitung der Vorlage werden wir darauf hingewiesen, dass uns langsam die Flächen ausgehen und wir die 14 Hektar besonders effizient ausnutzen sollten. Wir reden von 100 Wohneinheiten pro Hektar, während im letzten Großprojekt im Pioneer Park schon 40 Einheiten pro Hektar für manchen als übergriffig galten. Wir erleben bei Bautz die aktuelle Grundsatzdiskussion zu Verdichtung, Urbanität, Resilienz und Gestaltung in Echtzeit. Wir erleben wie die Planung genau die Spreizung offenkundig gegenläufiger Interessen in einem großen aber gleichzeitig visionären Kompromiss erfüllen muss.
In der Logik der zeitlosen Schönheit der Baukunst der Gründerzeit wollen wir uns nun mit freien Gestaltungskonzepten und vielen belebenden Nutzungen einen spannenden Mix schaffen, der den Ansprüchen modernen Wohnens genügt. Und die Idee ist genau richtig, weshalb wir der Vorlage natürlich zustimmen werden.
Das Bautz-Quartier ist die letzte Großentwicklung für städtisches Wohnen, sozusagen die eiserne Reserve, das städtebauliche Tafelsilber. Danach wird es kleinteilig oder wie Berthold Brecht sagen würde, nach den Mühen der Berge kommen nun die Mühen der Ebene. Die grüne Wiese zu beplanen, bringt viel Sichtbares auf einmal hervor, die Stadt aus sich selbst heraus weiter zu entwickeln, ist eine Summe invasiver Kraftakte.
Wer alles auf einmal will, muss bereit sein, alles zu riskieren. Moderne Energiestandards, moderne Mobilität, kurze Wege, hohe Wohnqualität, ansprechende Durchgrünung, Naherholung, Infrastruktur – und das Ganze so günstig wie möglich. Aber all das hat seinen Preis. Und dieser Preis heißt Verdichtung. Verdichtung entsteht durch Druck von außen – und all die erwähnten Punkte machen das Vorhaben alles andere als trivial. Deswegen wird es in den kommenden Jahren der Detailplanungen und Realisierung darum gehen, immer wieder die kleinen Lösungen genauestens unter die Lupe zu nehmen, damit uns das große Ganze nicht um die Ohren fliegt. Und gleichzeitig soll daran erinnert werden, dass es am Ende des Tages privatwirtschaftliche Initiative braucht, um solche Projekte überhaupt zu realisieren, denn gebaut werden kann nur, wenn es auch darstellbar ist.
Der diffundierende Gedanke solcher Projekte zeit sich auch in der Verstädterung des ländlichen Raums und der gleichzeitigen Verländlichung der Stadt. Immer mehr Menschen wünschen sich eine entschleunigte Urbanität. Sie sehnen sich nach der „ländlichen Idylle“ und versuchen, diese zunehmend in den städtischen Raum zu integrieren. Übersetzt sehen wir auch hier wieder die Erfüllung der Sehnsucht nach einer 15 Minuten Stadt. Im Zeitalter von Remote Work, explodierenden Online-Angeboten und gut ausgebauten Pendlerverbindungen minimiert sich die individuelle Abhängigkeit der Menschen von städtischen Zentren. Gleichzeitig hat die Pandemie gezeigt, was es alles vor der Haustür zu entdecken gibt und was wirklich zählt: Und das ist die gute Nachbarschaft. Auf die wollen wir hoffen. Vielen Dank!